DENK MAL AM ORT

7. / 8. Mai 2016

Am Wochenende 7./8. Mai, dem 71. Jahrestag des Endes des 2. Weltkrieges, gedachte DENK MAL AM ORT der verfolgten, vertriebenen und ermordeten jüdischen Berlinerinnen und Berliner an den authentischen Orten in der Stadt.

Einzelpersonen, Initiativen und Hausgemeinschaften erinnerten mit einer kreativen Idee an einen konkreten Menschen, und zwar dort, wo sie oder er gelebt hatte.

Von der Verlesung von Namen über Biografien, von Gesprächen mit Zeitzeugen über Lesungen, Filmvorführungen, Vorträge, Führungen, Kunstausstellungen, Installationen, Musik und Audio bis zu Zeichnungen, Poesie und Dokumentationen - an 16 verschiedenen Orten der Stadt.

Den Auftakt machte die Niederländerin Denise Citroen, die aus Amsterdam nach Berlin gekommen war, um zu berichten, wie sich OPEN JEWISH HOMES in den Niederlanden entwickelt hat. DENK MAL AM ORT fußt auf der Idee von OPEN JEWISH HOMES, allerdings erweitert auf alle Menschen, die in der NS-Zeit ausgegrenzt, verfolgt, beraubt, ermordet wurden.

Meine temporäre Installation aus Dokumenten der Verfolgung und Beraubung erinnert an jene neun Menschen, die aus dem 4. Stock der Rosenheimerstrasse 40 deportiert worden sind. Es waren drei Familien mit zwei kleinen Kindern und eine alleinstehende Rentnerin.

Henny Mosson-Möller
Carl Möller
Mary Mosessohn geb. Weinberg
Lotte Fuld-Traumann
Zilla Fuld-Traumann
Else Simon geb. Stargardt
Helga Kaufmann geb. Simon
Yvonne Kaufmann
Gertrud Sachs
Niemand von ihnen hat überlebt.




AUSGESPERRT AUS EUROPA

Videoinstallation | 14:54 min | 2014

We are the Travellers of the Permanent Transit, sagen die Flüchtlinge. 
Papst Franziskus nennt es die Globalisierung der Gleichgültigkeit.

Die Europäische Union ist ein Haus mit 28 offenen Türen. Als EuropäerInnen freuen wir uns über die Freiheit, den Frieden und die Chance, an jedem Ort Europas Wohnung oder Arbeit suchen zu können. Nach außen sind die europäischen Türen verschlossen, vor allem nach Süden. Die südlichste Grenze Europas verläuft nicht auf europäischem Boden, sondern in Afrika. Melilla ist eine spanische Exklave mit 80.000 Einwohnern zwischen Marokko und dem Mittelmeer.

Melilla wurde mit Mitteln der Europäischen Gemeinschaft eingezäunt. Der Grenzzaun ist sechs Meter hoch und besteht aus drei Zaunanlagen hintereinander auf einer Länge von elf Kilometern. Peitschenlampen, automatische Scheinwerfer, Wärmebildsensoren, Kameras, Wachttürme und Patrouillenfahrzeuge erinnern an die innerdeutsche Grenze.

Nur wenige Fluchtversuche über den Zaun gelingen. Afrikanische, syrische und maghrebinische Flüchtlinge und Migranten verletzen sich am Maschengeflecht, an den Klingen des Natodrahts oder werden von den Grenzposten verletzt, sie stürzen verletzt ab und werden häufig ohne medizinische Hilfe sowie ohne die Möglichkeit, Asyl beantragen zu können, nach Marokko abgeschoben.

Im Mai 2014 hat Jani Pietsch den Zaun in Melilla zu Fuß und mit dem Fahrrad abgefahren und gefilmt. Ihre Collage aus Video und Ton bringt Europas südlichste Grenze ins Zentrum der EU.

Ewa Weiler
Shifting Identities, Ewa Weiler, © Ghetto Fighters' House Archives, Israel

SHIFTING IDENTITIES

Installation (2013)

Im Archiv eines israelischen Ghettokämpfermuseums stiess ich auf ein Fotoalbum. Die Porträts im Passbildformat wurden zwischen 1946 und 1949 im polnischen Oberschlesien aufgenommen. Sie zeigen 196 polnisch-jüdische Kinder, die den Holocaust in Polen überlebten, weil polnische Katholiken sie vor den Deutschen versteckten. Einige dieser Kinder überlebten jedoch auch ganz auf sich allein gestellt.

Der polnische Rabbiner und Colonel Yeshayahu Drucker aus Krakau machte es sich unmittelbar nach Kriegsende zur Aufgabe, die überlebenden jüdischen Kinder zu finden und sie dem nahezu ausgelöschten Judentum zurückzugeben. Im Transit des jüdischen Kinderheims von Zabrze kehrte ihre jüdische Identität zu ihnen zurück. Und das Trauma, als einzige ihrer Familie überlebt zu haben. Das Album ist ein Geschenk für Y. Drucker, der 1950 nach Israel emigrierte und dort 2004 verstarb.

Die Installation SHIFTING IDENTITIES basiert auf 196 Fotoporträts des Albums, 196 Pappkartons und Video. Jeder einzelne Karton (25x25x40cm) wurde zu einer Behausung für eine einzelne Fotografie, ein Kind. Das Material Karton visualisiert die temporäre Situation des Übergangs - den Transit. Der dunkle Kartoninnenraum hinter der Fotografie verweist auf die Gebrochenheit und Zerbrechlichkeit der Kinder, ihre Einsamkeit. Miteinander bilden die Kartons eine Art Kartonhaus. Dieses lässt sich durch einen schmalen Spalt betreten. Im Innern der Installation berichten drei der Kinder, die ich 2013 in Israel getroffen habe, von ihrem Überleben in Polen. David Danieli (Dawid Danielski) verbrachte vier Jahre mit falscher Identität bei einer katholischen polnischen Nachbarin in Rybnik. Orna Keret (Fela Kożuch) überlebte die Auslöschung des Warschauer Ghettos als Kind, ganz allein auf sich gestellt. Ruth Marks (Roma Głowinska) wurde aus ihrer Heimatstadt Kalisz in das Ghetto Sandomierz deportiert, von wo sie zu fliehen vermochte und schließlich bei einer katholischen polnischen Familie Zuflucht fand.

IN DEN ALPEN

Installation (2009, gemeinsam mit Isabel Mertel, Neuseeland)

Vier Völker kämpften im Ersten Weltkrieg um die Alpengrenze. Bis heute ist der Kamm der Karnischen Alpen übersät von Kriegsschrott. Zeitlos aber ist die Schönheit des paläozoischen Korallenriffs der Karnischen Alpen. Genau hier lag vor über 300 Millionen Jahren die Meeresküste - zwischen dem afrikanischen und dem europäischen Kontinent. Eine flache Barke, aufgeschichtet aus Felsgestein auf dem 2500 m hohen Grat im Septemberhagel, meint das frühe Mittelmeer, meint Kontinente und Planeten ohne Grenzen.

Kontakt

Jani Pietsch
Merseburger Str. 12
D-10823 Berlin
jani.pietsch@gmail.com


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Übersetzung: Richard Holmes, Sunniva Greve

Grafik: Aleksandra Kujawska, www.dotindrop.de